3.8 Der Hambacher Forst

Vor 10 Jahren hat alles angefangen: Hambi bleibt - oder nicht?

Die Geschichte des Streits beginnt im Jahr 1977. Damals kaufte die Rheinbraun-AG, die später in den RWE-Konzern überging, das Waldgebiet. Heute ist der Großteil des seit 12.000 Jahren existierenden Waldes zwischen Aachen und Köln der Rodung für den Braunkohletagebau gewichen: Von ursprünglich etwa 5.500 Hektar Fläche stehen heute noch 200. Seit 2012 ist der Konflikt zwischen Braunkohlegegner:innen und dem RWE immer intensiver geworden. Vor sechs Jahren besetzten Aktivist:innen erstmals in Baumhäusern Teile des Waldes. Nach einer ersten Räumung kam es 2013 erneut zur Besetzung. Seitdem harren die Aktivist:innen in ihren Lagern aus, immer wieder unterbrochen von Räumungen durch die Polizei. 2016 befindet das Oberverwaltungsgericht Münster die Besetzung für illegal. Im Jahr darauf erklärt das Verwaltungsgericht Köln, dass die geplante Rodung rechtmäßig ist. Die damalige rot-grüne Landesregierung genehmigt den Plan für das Waldstück – der RWE-Konzern sichert sich somit das Recht, im Tagebau Hambach bis 2040 Kohle abzubauen. Jedoch bleiben die Gegner:innen im Wald.

Am 12. September 2018 fordert das Bauministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, die Baumhäuser zu räumen. Begründet wird diese Forderung mit fehlendem Brandschutz in den Hütten. Am Tag darauf beginnt die Polizei mit der Räumung des Forsts. Ihre Methoden sind umstritten: Es kursieren Videos, die Polizeigewalt gegen Aktivist:innen zeigen. Gleichzeitig sagt die Polizei, sie sei ihrerseits gewaltsam von Aktivist:innen attackiert worden, unter anderem mit Molotowcocktails. Besonders tragisch überschattet der Tod eines Bloggers die Räumungsphase: Er stürzte von einer Hängebrücke und starb wenig später an seinen Verletzungen.

Allerdings werden auch friedlicher Widerstand und gewaltfreie Räumung dokumentiert. Um den Hambacher Forst formiert sich während dieser Wochen eine dynamische Protestkultur von Braunkohlegegner:innen. Am 6. Oktober 2018 versammeln sich rund 50.000 Menschen und protestieren gegen die Rodung des Waldes und gegen den Braunkohletagebau. Die Demonstration wird damit zur bis dato größten Anti-Kohle-Demonstration Deutschlands und bildet den Höhepunkt der Proteste um den Hambacher Wald.

Die Symbolik des Hambacher Waldes
Der Hambacher Wald ist weit über das Rheinische Braunkohlerevier zum Symbol für den Widerstand gegen den Braunkohletagebau und auch für eine rasche Energiewende und eine ambitionierte deutsche Klimapolitik geworden. Diese Symbolik des Hambacher Waldes basiert auf unterschiedlichen Narrativen in der Hambach-Bewegung und darüber hinaus. Die Aktivist:innen kommunizieren die folgenden sechs Narrative: (1) Naturschutz, (2) Klimaschutz, Klimapolitik und Klimabewegung, (3) Kohleförderung und Energiepolitik, (4) Politikstrukturen in Deutschland, (5) Macht der Zivilgesellschaft, (6) alternative Lebensformen und systemischer Wandel.

Zehn Jahre später: Die Bedeutung für die Anti-Kohle-Bewegung in Deutschland
Heute, zehn Jahre nach der ersten Besetzung des Hambacher Waldes, ist der deutsche Kohleausstieg im Jahr 2038 beschlossene Sache. Die Empfehlungen der Kohlekommission aus dem Jahr 2019 wurden – wenn auch in abgeschwächter Form – in Gesetzen verankert und die Ampel-Regierung möchte sogar „den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen“. Die Hambach-Bewegung konnte durch ihre anhaltenden Proteste und Klagen erreichen, dass die geplante Fläche für den Braunkohletagebau Hambach reduziert wurde, wodurch weniger Braunkohle gefördert werden wird und der Hambacher Wald gerettet werden kann.

Dennoch ist es im Rheinischen Kohlerevier nicht ruhig geworden: Die Kohlebagger, von den Menschen in der Region auch „Heimatfresser“ genannt, graben unermüdlich weiter und so ist auch die Anti-Kohle-Bewegung weiterhin aktiv. Durch die Rettung des Hambacher Waldes vor weiteren Rodungen – um den Wald langfristig zu schützen, fordern Umweltorganisationen die Ausweisung des Waldes als Naturschutzgebiet – hat sich der Protest auf die weiterhin von Enteignungen und Zwangsumsiedlungen betroffenen Dörfer verlagert. Die Bewohner:innen dieser Dörfer hatten vor 2018 schon resigniert, jedoch brachten die Erfolge im Kampf um den Hambacher Wald ihnen neue Hoffnung und es formierte sich das Bündnis „Alle Dörfer bleiben“. Zusammen mit vielen Aktivist:innen der Hambach-Bewegung protestieren Dorbewohner:innen und Mitglieder der Klimagerechtigkeitsbewegung nun für den Erhalt der Heimat im Rheinischen Kohlerevier.

Auf dem Weg zur Klimakonferenz in New York legt die Fridays-for-Future-Aktivistin Greta Thunberg im Rheinischen Revier im August 2019 einen Zwischenstopp ein. Der Besuch des Braunkohletagebaus Hambach sei ihr schwergefallen, sagte die schwedische Klimaaktivistin. "Es war so gewaltig, so verheerend und es macht mich irgendwie traurig." Die Braunkohle trage mit zur ökologischen Krise bei. Um die Klimaziele zu erreichen, dürfe Deutschland keine weitere Kohle verbrennen, sagte sie. Thunberg betonte, dass sie den von Deutschland für 2038 geplanten Ausstieg aus der Kohleverstromung für zu spät hält. Wenn man unter einer Erderwärmung von 1,5 Grad bleiben wolle, dann könne Deutschland nicht noch zwanzig Jahre lang Kohle verbrennen, sagte die 16-Jährige bei einem Besuch im Protestlager am Hambacher Forst. "Das ist nicht meine Meinung oder das, was ich denke, das ist das, was die Wissenschaft sagt." Gemeinsam mit dem Aktionsbündnis Ende Gelände rief sie die Menschen dazu auf, am 20. und 27. September an dem geplanten globalen Klimastreik teilzunehmen. "Die Zeit läuft uns davon und die Regierenden enttäuschen uns weiterhin", sagte Thunberg.


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