Vorwort (Seite 7-8)
Als ich meine Laufbahn als Förster begann, kannte ich vom geheimen Leben der Bäume ungefähr so viel wie ein Metzger von den Gefühlen der Tiere. Die moderne Forstwirtschaft produziert Holz, sprich, sie fällt Stämme und pflanzt anschließend wieder neue Setzlinge. Liest man die Fachzeitschriften, entsteht schnell der Eindruck, dass das Wohl des Waldes nur insofern interessiert, als es hinsichtlich einer optimalen Betriebsführung notwendig ist. Für den Försteralltag reicht dies auch, und allmählich verbiegt sich dabei der Blick. Da ich täglich Hunderte von Fichten, Buchen, Eichen oder Kiefern im Hinblick darauf taxieren muss, wozu sie im Sägewerk taugen und wie hoch ihr Vermarktungswert ist, wurde meine Wahrnehmung auf dieses Sichtfeld eingeengt.
Vor rund zwanzig Jahren fing ich an, mit Touristen Survivaltrainings und Blockhüttentouren zu veranstalten [...] In Gesprächen mit den vielen Besuchern wurde mein Waldbild wieder geradegerückt. Krumme, knorrige Bäume, die ich damals noch als minderwertig einordnete, riefen bei Wanderern Begeisterung hervor. Ich lernte zusammen mit ihnen, nicht nur auf die Stämme und deren Qualität zu achten, sondern auch auf bizarre Wurzeln, besondere Wuchsformen oder zarte Moospolster auf der Rinde. Meine Naturliebe, die mich schon als Sechsjährigen umgetrieben hatte, entflammte aufs Neue. Plötzlich entdeckte ich unzählige Wunder, die ich mir kaum erklären konnte. Zudem begann die Universität Aachen mit regelmäßigen Forschungsarbeiten in meinem Revier. Viele Fragen wurden dabei beantwortet, zahllose weitere tauchten auf. Das Leben als Förster wurde wieder spannend, jeder Tag im Wald zu einer Entdeckungsreise. Das erforderte bei der Waldbewirtschaftung ungewohnte Rücksichtnahmen. Wer weiß, dass Bäume Schmerz empfinden und ein Gedächtnis haben und dass Baumeltern mit ihren Kindern zusammenleben, der kann sie nicht mehr so einfach fällen und mit Großmaschinen zwischen ihnen herumwüten. Seit zwei Jahrzehnten schon sind diese aus meinem Revier verbannt, und wenn doch einmal einzelne Stämme geerntet werden, dann erledigen Waldarbeiter die Arbeiten behutsam zusammen mit ihren Pferden. Ein gesunder, vielleicht sogar glücklicher Wald ist wesentlich produktiver, und das bedeutet zugleich höhere Einnahmen [...] Ich lade Sie ein, mit mir das Glück zu teilen, das Bäume uns geben können. Und wer weiß, vielleicht entdecken Sie ja bei Ihrem nächsten Waldspaziergang selbst kleine und große Wunder.
Die hölzerne Klimaanlage (Seite 92-93)
Bäume mögen keine extremen Schwankungen in Bezug auf Temperatur und Feuchtigkeit. Aber auch für große Pflanzen macht das regionale Klima keine Ausnahmen. Doch vielleicht haben die Bäume ja die eine oder andere Möglichkeit, selbst Einfluss zu nehmen? Mein Schlüsselerlebnis dazu wäre ein Wäldchen in der Nähe von Bamberg, das auf einem trockenen, nährstoffarmen Sandboden stand. Hier könne nur die Kiefer gedeihen, hatten Forstwissenschaftler einst behauptet. Um keine öde Monokultur zu schaffen, pflanzte man damals auch noch Buchen hinzu, die mit ihrem Laub die sauren Nadeln der Kiefern für Bodentiere etwas mildern sollten. An eine Holzproduktion mit diesen Laubbäumen hatte man nicht gedacht, sie galten als sogenannte dienende Baumart. Doch die Buchen dachten gar nicht daran, bloß untergeordnete Funktionen zu übernehmen. Sie zeigten nach einigen Jahrzehnten, was in ihnen steckt. Mit ihrem jährlichen Laubfall erzeugten sie einen milden Humus, der viel Wasser speichern konnte. Zudem wurde so die Luft in diesem Wäldchen immer feuchter, weil die Blätter der aufstrebenden Bäumchen den Wind zwischen den Kiefernstämmen bremsten und für Luftruhe sorgten. So konnte weniger Wasser verdunsten. Das ließ die Buchen immer besser gedeihen, und eines Tages wuchsen sie den Kiefern schließlich über den Kopf. Der Waldboden und das Kleinklima hatten sich mittlerweile so verändert, dass die Bedingungen für die Laubbäume besser waren als für die genügsamen Nadelbäume. Das ist ein schönes Beispiel dafür, was Bäume zu ändern vermögen. Förster sagen auch: Der Wald macht sich seinen idealen Standort selbst. Was die Windruhe angeht, ist das nachvollziehbar, was ist aber mit dem Wasserhaushalt? Wenn im Sommer keine heiße Luft den Waldboden trocken föhnen kann, weil dieser stets gut beschattet und beschützt ist, dann ist das noch nachvollziehbar. Wie groß die Temperaturunterschiede von einem aufgelichteten Nadelwald zu einem natürlichen alten Buchenwald sein können, fanden Studenten der RWTH Aachen in meinem Revier heraus. An einem extrem heißen Augusttag, der das Thermometer auf 37 Grad Celsius hinaufjagte, war der Boden des Laubwalds um bis zu 10 Grad Celsius kühler als der des wenige Kilometer entfernten Nadelwalds. Diese Kühlung, die weniger Wasser verdunsten lässt, kommt neben der Beschattung ganz maßgeblich aus der Biomasse. Je mehr lebendes und totes Holz ein Wald hat, je mächtiger die Humusschicht des Bodens, desto mehr Wasser ist in der Gesamtmasse gespeichert. Man könnte auch sagen: ein intakter Wald kann im Sommer schwitzen und erzielt damit denselben Effekt wie der Schweiß bei uns Menschen.